Schon zum zweiten Mal rügt der BGH die Vorfälligkeitsentschädigungspraxis der Bankenwelt. Unzulässig niedrige Wiederanlagerenditen hätten zu zu hohen Vorfälligkeitsentschädigungen geführt. Alle Darlehensnehmer, die in der Vergangenheit Vorfälligkeitsentschädigungen bezahlten, sind betroffen. Rückerstattungsansprüche auf gezahlte Entschädigungen von über 20% sind möglich. Es besteht die Gefahr, dass ein etwaiger Anspruch schon zum 31.12.2004 verjährt. Somit ist Eile geboten.
Mit zwei bankenfreundlichen Grundsatzurteilen gab der BGH im Jahr 1997 die Richtung zur Berechnung von Vorfälligkeitsentschädigungen vor. Den Kreditinstituten wurde gestattet, die Vorfälligkeitsentschädigung wahlweise nach dem sog. Aktiv-Passiv- oder den Aktiv-Aktiv-Vergleich zu berechnen. Der Aktiv-Passiv-Vergleich unterstellt, dass die Bank das vorzeitig zurückerhaltene Darlehenskapital in Wertpapieren anlegt, es also nicht wieder ausleiht. Der Aktiv-Aktiv-Vergleich unterstellt dagegen eine Wiederausleihe zu aktuellen Darlehenskonditionen. Die Institute hatten sich im Anschluss an das Urteil fast durchweg für den Aktiv-Passiv-Vergleich entschieden, weil dieses Verfahren höhere Entschädigungszahlungen bedingt: die Differenz des vertraglichen Darlehenszinssatzes zu einem aktuellen Wertpapierzinssatz ist größer als die Differenz zu einem aktuellen Darlehenszinssatz.
Und auch im weiteren ließen viele Institute nichts unversucht, die fällige Entschädigung höher erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich war. Für die Behauptung, eine Wiederanlage erfolge zu den Renditen von niedrig verzinslichen Öffentlichen Anleihen wurden sie bereits im Jahr 2000 gerügt. Eine zweite Rüge erhielten sie jetzt mit dem Urteil vom 30.11.2004: Der Verband der deutschen Hypothekenbanken veröffentlicht einen Index zu den Renditen von Hypothekenpfandbriefen, den sog. PEX-Index. Viele Hypothekenbanken orientieren sich an diesem Index, wenn sie die Vorfälligkeitsentschädigungen berechnen. In der Vergangenheit fiel auf, dass dieser Index durchweg niedrigere Renditen für Hypothekenpfandbriefe aufwies als die Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank. Gerechnet nach den Bundesbankrenditen fielen die Vorfälligkeitsentschädigungen erheblich niedriger aus.
Die Ursache dafür wurde nun vom BGH aufgedeckt: Der PEX-Index speist sich aus den täglichen Meldungen der Hypothekenbanken über die Renditen von Hypothekenpfandbriefen, einerseits für die verkauften Papiere, andererseits aber auch für die wegen einer zu niedrigen Rendite nicht verkauften, sondern nur angebotenen Papiere. Der Mittelwert über verkaufte und nicht verkaufte Wertpapiere führt sodann auf einen zu niedrigen Wiederanlagezinssatz, der den Markt nicht repräsentiert. Die Vorfälligkeitsentschädigung fällt damit ungerechtfertigt hoch aus.
Bankkunden dürfen von ihrer Bank verlangen, dass sie die Vorfälligkeitsentschädigung nach einem die Marktrenditen korrekt widerspiegelnden Index berechnen. Die offizielle Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank ist insoweit über jeden Zweifel erhaben. Sie repräsentiert die Renditen aus dem börsenmäßigen Handel mit Hypothekenpfandbriefen.
Der Effekt dieses Urteils auf bereits erteilte und bezahlte Vorfälligkeitsentschädigungsberechnungen ist unterschiedlich. Im Durchschnitt kann wohl davon ausgegangen werden, dass die Renditen des PEX-Indexes um ca. 0,1-0,2 Prozentpunkte zu niedrig ausgefallen sind. Darlehensnehmer, deren vertraglicher Darlehenszinssatz um weniger als 1 Prozentpunkt vom Wiederanlagezinssatz in Hypothekenpfandbriefen abwich, dürfen auf eine 10-30%-ige Ermäßigung ihrer Zinsentschädigung hoffen. Bei Abweichungen von 1-2 Prozentpunkten resultieren Ermäßigungen von 5-20%. Bei größeren Abweichungen verringern sich diese Erstattungen abermals. Der nominale Darlehenszinssatz ist stets mit der Rendite jenes Hypothekenpfandbriefs zu vergleichen, dessen Laufzeit der noch verbleibenden Restlaufzeit des Darlehens bis zum Ende der Festschreibungsfrist entsprach. Dieses Ende ist spätestens 10,5 Jahre nach der Vollauszahlung des Darlehens erreicht.
Die Geltendmachung der Ansprüche ist von höchster Eile. Grundsätzlich verjähren am 31.12.2004 alle Ansprüche auf Erstattungen, die vor dem 01.01.2002 entstanden sind. Im Monat Dezember 2004 ist es noch möglich, Ansprüche bis zu 30 Jahre zurück zu verfolgen. Den Eintritt der Verjährung alter Ansprüche verhindert die Einreichung einer Klage vor dem Jahreswechsel. Ebenso verhindert ein gerichtlicher Mahnbescheid, zugestellt vor dem Jahreswechsel eine Verjährung. Die dritte Möglichkeit, die Verjährung aufzuhalten, besteht darin, den Fall noch vor dem 31.12.2004 einem öffentlichen Schiedsgericht vorzutragen.
Allerdings ist die Verjährung der Ansprüche nicht sicher. Am 01.01.2002 trat ein neues Verjährungsrecht in Kraft, das die bisher geltende 30jährige Frist radikal auf 3 Jahre verkürzte. § 199 Abs. 1 BGB bestimmt: Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem 1.) der Anspruch entstanden ist, 2.) der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Diese Regelung gilt auch für solche Altfälle, die am 31.12.2004 auch unter einer 30jährigen Frist noch nicht verjährt wären. Deren neue Verjährungsfrist ist zunächst einmal mit dem 31.12.2001 als in Gang gesetzt anzusehen (Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB).
Zu den den Anspruch begründenden Umständen gehört auch die Kenntnis von einem tatsächlich bestehenden Rechtsanspruch. Diese Kenntnis wird jedoch erst mit dem Urteil des BGH vom 30.11.2004 hergestellt. Insoweit würde der Lauf der Verjährungsfrist auch für die Altfälle am 31.12.2004 einsetzen. Dann bliebe noch Zeit bis zum 31.12.2007; den Anspruch geltend zu machen. Bereits einmal hatte der BGH geurteilt: Bei besonders unübersichtlicher Rechtslage können erhebliche rechtliche Zweifel den Verjährungsbeginn ausnahmsweise bis zur Klärung ausschließen.
Betroffenen Darlehensnehmern kann nur dringend empfohlen werden, zur Fristwahrung anwaltlichen Rat einzuholen und die Entschädigung von einem sachverständigen Experten überprüfen zu lassen.
Wenn der Artikel hilfreich war, empfehlen Sie uns gerne weiter:
Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:
Die Vorfälligkeitsentschädigung und die Nichtabnahmeentschädigung
- Fehlendes berechtigtes Interesse.
-
Keine Vorfälligkeitsberechnung, wenn...
- Ihr Institut hat die Vorfälligkeitsentschädigung fehlerhaft beschrieben
- Sie können den Darlehensvertrag noch widerrufen
- Sie stellen den Käufer als Ersatzkreditnehmer oder bieten ein Ersatzgrundstück als Sicherheit an
- Ihre Lebensversicherung wurde fällig oder der Bausparvertrag zugeteilt
- Ihr Kreditinstitut macht Ihnen ein Angebot auf Rückzahlung
- Das Kreditinstitut hat Ihr Verbraucherdarlehen gekündigt
- Behandlung bankseitig gekündigter Nicht-Verbraucherdarlehen.
- Besondere vorzeitige Rückzahlungsrechte.
- Das Verhältnis von Aktiv-Aktiv- und Aktiv-Passiv-Vergleich.
- Mit der Rückzahlung ersparte Kosten
- Rechnerische Vorgaben für die Entschädigungskalkulation
Was ändert sich bei der Vorfälligkeitsentschädigung? - Das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie
Am 21.03.2016 trat das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie in Kraft. Es enthält viele Neuregelungen, die sich auf das Verhältnis des Immobiliar-Verbraucherdarlehensnehmers zu seiner Bank auswirken. Auch in Bezug auf die Vorfälligkeitsentschädigung ergingen neue Vorschriften. Deren tiefergehende spezifische Ausgestaltung sollte allerdings einem weiteren Gesetzgebungsverfahren vorbehalten bleiben, das die Ergebnisse einer speziell zu diesem Zweck eingerichteten Arbeitsgruppe verwerten sollte. Die Zielsetzung, eine Richtschnur für die spezifische Ausgestaltung des Instruments der Vorfälligkeitsentschädigung zu erarbeiten, wurde damit eher verfehlt. Diese Studie erhebt den Anspruch, auf wichtige Fragen um die Vorfälligkeitsentschädigung die passenden Antworten zu geben.
Hohe Vorfälligkeitsentschädigungen schockieren die Kunden
Die aktuellen Staats- und Finanzkrisen erschüttern nicht nur die Anleihe- und Aktienmärkte, sie nehmen auch einen erheblichen Einfluss auf die Kosten einer vorzeitigen Darlehensablösung, die Vorfälligkeitsentschädigung. Eine direkte Folge der Finanzierungskrisen in den Weichwährungsländern der EU stellt die Flucht der Anleger in die vermeintlich „noch“ sicheren Häfen der Geldanlage dar. So bewirkte die zunehmende Nachfrage nach deutschen Staatsanleihen einen starken Kursanstieg und damit einen Renditeverfall.
Einfallsreichtum der Banken bei SWAP- und CAP-Geschäften
Rechtliche Qualifikation der Zinsentschädigung für die vorzeitige Vertragsaufhebung bei variabel verzinslichen Finanzierungen zu festgeschriebenen Zinssätzen
- Wie mache ich aus einem variabel verzinslichen Kreditgeschäft ein Festzinsgeschäft?
- Die rechtliche Qualifikation derartiger Kombinationsgeschäfte
- Ergebnis
Vorfälligkeitsrechner
Vorfälligkeitsentschädigung schnell berechnen
Sie möchten die Höhe einer Vorfälligkeitsentschädigung ermitteln oder prüfen? Mit unserem Online-Vorfälligkeitsentschädigungsrechner ist das kein Problem. Bereits ab 0,00 Euro für Darlehen bis 400.000 Euro.
Kontaktieren Sie uns
Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail:
Telefon: 04161 996816
E-Mail: mail@wehrt.de
Prof. Dr. Klaus Wehrt
Prof. Dr. Klaus Wehrt ist finanzmathematischer Experte für alle Fragen der Immobilienfinanzierung, insbesondere der Überprüfung von Vorfälligkeitsentschädigung, Professor für Volkswirtschaftslehre und Statistik, Buxtehude-Immenbeck.