Von Rechtsanwältin Angela Wehrt-Sierwald und Prof. Dr. Klaus Wehrt
21.09.2006. Das Urteil (der Link führt Sie auf einen anderen Server) betrifft alle Darlehensnehmer von Hypothekenkrediten, die in ihren Darlehensverträgen Sondertilgungsmöglichkeiten vereinbarten. Gerade in den letzten Jahren wurden häufig Hypothekenkredite vergeben, bei denen sich Darlehensnehmer Sondertilgungen einräumen ließen, um die Flexibilität der Darlehensrückzahlung zu erhöhen und im Falle einer vorzeitigen Darlehensrückzahlung die Vorfälligkeitsentschädigung zu reduzieren. Für die Gewährung von Sondertilgungsrechten wurden nicht unerhebliche Zinsaufschläge von bis zu 0,25 % p. a. verlangt.
Später, wenn es dann um die vorzeitige Rückzahlung des Darlehens ging, wurden die eingeräumten Sondertilgungsrechte bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung häufig von den Banken gar nicht mehr oder nur unzureichend berücksichtigt, z.B. in dem das jährlich zehnprozentige Sondertilgungsrecht nur für das Jahr der vorzeitigen Darlehensrückzahlung anerkannt wurde.
Sondertilgungsrechte sind Optionsrechte, welche die Darlehensnehmer durch einen Zinsaufschlag auf ihren Darlehenszinssatz bei Vertragsschluss erwerben. Im Regelfall erlauben sie, einmal jährlich einen bestimmten Prozentsatz des Darlehenskapitals entschädigungsfrei zurückzuführen. Im Verlauf eines jeden Jahres darf der Darlehensnehmer unter einem zehnprozentigen Sondertilgungsrecht 10% des ursprünglichen Darlehenskapitals zusätzlich zur vereinbarten Regeltilgung (im Allgemeinen: 1% jährlich) tilgen. Er muss von diesem Recht allerdings keinen Gebrauch machen. Nach Ablauf des Kalenderjahres verfällt dieses Recht, doch im Folgejahr gilt abermals ein derartiges zehnprozentiges Sondertilgungsrecht. Selbst tilgungsfreie Zehnjahresdarlehen können auf diese Art und Weise bereits nach Ablauf der ersten Zinsbindungsfrist vollständig getilgt sein.
Die Nichtberücksichtigung dieser Sondertilgungsrechte bei der Vorfälligkeitsentschädigungsberechnung wird von den Landgerichten Darmstadt (Urteil vom 23.08.2006) und Heidelberg (13.02.2006) beanstandet.
Grundsätzlich hat der Darlehensnehmer bei längeren Zinsbindungsfristen dem Darlehensgeber nur jenen Schaden zu ersetzen, der diesem aus der vorzeitigen Darlehensrückführung auch tatsächlich entsteht (§ 490 Abs. 2 Satz 3 BGB). Dieser Schaden (Vorfälligkeitsentschädigung) ist nach bestimmten rechtlichen Vorgaben zu kalkulieren (BGH vom 7.11.2000). Zwei zentrale Größen in dieser Berechnung sind die vereinbarte Zinsbindungsfrist sowie die Höhe des in dieser Frist zinsgebundenen Darlehenskapitals. Ist der Darlehensnehmer berechtigt, jährlich 10% des Darlehenskapitals zu tilgen, so reduziert er die zweite wichtige Größe der Berechnung, das zinsgebundene Darlehenskapital. Das hat die Bank bei ihrer Vorfälligkeitsentschädigungsberechnung zu berücksichtigen. Hält der Darlehensgeber sich nicht an diese Vorgaben, so erlangt der Darlehensnehmer wegen der überhöhten Vorfälligkeitsentschädigung einen Rückerstattungsanspruch aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung gem. § 812 Abs. 1 BGB.
Das Landgericht Darmstadt hat entschieden, dass das im Vertrag vereinbarte Recht des Darlehensnehmers, jährlich zehnprozentige Sondertilgungen zu leisten, bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung zu berücksichtigen ist.
Faktisch bedeutet dieser Urteilsspruch, dass bei einer Ablösung zum 31.12.2006 vom Darlehenskapital von bspw. 100.000 EUR 10.000 EUR entschädigungsfrei zurückgeführt werden können, die Sondertilgung für das Jahr 2007. Im Folgejahr wächst dieser entschädigungsfreie Kapitalstock sogar auf 20% an. Weist das Darlehen eine noch verbleibende Zinsbindungsfrist von 5 Jahren auf, so gilt für das letzte Jahr der Zinsbindung, dass sich die Vorfälligkeitsentschädigung nur auf 50% des in diesem Jahr eigentlich geschuldeten Darlehenskapitals beziehen darf.
Das Landgericht Darmstadt folgt damit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Der Darlehensnehmer hat hinsichtlich der bei Vertragsunterzeichnung bereits eingeräumten Sondertilgungsrechte einen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als hätte er diese bei planmäßigem Vertragsverlauf künftig vollständig und zum frühestmöglichen Zeitpunkt ausgeübt. Dieser Anspruch auf die Anrechnung von Sondertilgungen bei der Vorfälligkeitsentschädigungskalkulation ist den Darlehensnehmern unabhängig von der Frage einzuräumen, ob er in der Vergangenheit bereits Sondertilgungsrechte wahrnahm, und ob er dazu überhaupt wirtschaftlich imstande gewesen wäre.
Das Landgericht Heidelberg geht noch einen Schritt weiter, indem es auch nicht ausgeübte Sondertilgungen aus der Vergangenheit bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung anrechnet, womit eine noch viel weitgehendere Reduzierung der Vorfälligkeitsentschädigung einhergeht. Dabei stützt sich das Landgericht Heidelberg auf eine Unklarheit bei der Auslegung der Sondertilgungsklausel, die zumeist nämlich nicht eindeutig zu erkennen gibt, ob nicht wahrgenommene Sondertilgungen später nachgeholt werden können. Unklarheiten bei der Auslegung von Allgemeinen Darlehensbedingungen gehen aber zu Lasten des Verwenders, vorliegend also der Bank.
Die von den Kreditgebern gelegentlich angeführte Entscheidung des OLG Frankfurt vom 25.05.2000, wonach zukünftige Sondertilgungsmöglichkeiten nur dann schadensreduzierend zu berücksichtigen sind, wenn der Darlehensnehmer auch tatsächlich nachweisen kann, dass er wirtschaftlich in der Lage gewesen wäre, die Sondertilgungen durchzuführen, lehnen die Landgerichte Darmstadt und Heidelberg ab. Die Rechtsprechung des OLG Frankfurt sei deshalb nicht maßgeblich, weil sich das Gericht inhaltlich überhaupt nicht mit der Grundsatzfrage der Berücksichtigung von Sondertilgungsrechten auseinandergesetzt habe, sondern lediglich wegen unzureichenden Sachvortrags des Darlehensnehmers die Anrechnung von zukünftigen Sondertilgungen abgelehnt habe.
Der Anspruch des Darlehensnehmers auf Berücksichtigung seiner Sondertilgungsmöglichkeiten ist wirtschaftlich begründet: Würde der Darlehensnehmer seinen Vertrag planmäßig erfüllen, dann hätte er unter der fortlaufenden Wahrnehmung bestehender Sondertilgungsrechte seiner Bank weniger Zinsen gezahlt, als er bezahlen muss, wenn bei einer vorzeitigen Darlehensrückzahlung Sondertilgungsrechte nicht zu berücksichtigen wären. Das widerspricht dem Schadensersatzgedanken der Vorfälligkeitsentschädigung.
Gegenüber Darlehensnehmern ohne Sondertilgungsrechte in den Verträgen wäre er überdies schlechter gestellt, denn er zahlt bei Vertragsunterzeichnung für die Einräumung des Sondertilgungsrechts einen erhöhten Zinssatz. Schon dieser erhöhte Zinssatz erhöht die Vorfälligkeitsentschädigung gegenüber Darlehensnehmern ohne eingeräumte Sondertilgungsrechte.
Erstattungen auf Vorfälligkeitsentschädigungen, die aufgrund nicht berücksichtigter Sondertilgungsrechte zu hoch ausgefallen sind, können noch nach Unterzeichnung eines sog. Aufhebungsvertrags oder einer entsprechenden Einverständniserklärung angefordert werden. Da überdies Vorfälligkeitsentschädigungen häufig auch aus anderen Gründen überhöht ausfallen, z. B. weil Darlehensverträge nicht korrekt ausgewertet wurden, zu geringe Risikoersparnisse oder zu geringe Wiederanlagezinssätze berücksichtigt wurden, empfehlen wir den betroffenen Darlehensnehmern, ihre Vorfälligkeitsentschädigungen anhand der Darlehensunterlagen rechtlich und rechnerisch überprüfen zu lassen.
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Prof. Dr. Klaus Wehrt
Prof. Dr. Klaus Wehrt ist finanzmathematischer Experte für alle Fragen der Immobilienfinanzierung, insbesondere der Überprüfung von Vorfälligkeitsentschädigung, Professor für Volkswirtschaftslehre und Statistik, Buxtehude-Immenbeck.
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Die Schwerpunkte der Tätigkeit von Frau Rechtsanwältin Angela Wehrt Sierwald bilden Bankrecht, Erb-, Immobilien- sowie Familienrecht.